Jugendstil in Deutschland

Deutschland liegt in der Mitte Europas. So bewegt sich auch der deutsche Jugendstil zwischen der floral-geschwungenen Ausprägung des Jugendstils in den romanischen Ländern und der geometrisch-abstrakten Ausprägung z.B. in Glasgow oder Wien.


Als die neue Bewegung des Jugendstils mit der „Deutschen Kunst-Ausstellung“ in Dresden im Jahr 1899 eine Art erster gesamtdeutscher Leistungsschau abhielt, kristallisierten sich vier „Geburtsstädte“ des deutschen Jugendstils heraus: München, Berlin, Karlsruhe und eben Dresden.

München

München

Dresden

Dresden

Berlin

Berlin

Karlsruhe

Karlsruhe

Darmstadt, 
Atelierhaus der Künstlerkolonie (Ernst-Ludwig-Haus), 1901

weitere Zentren

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München

In München erschien ab 1896 die Zeitschrift "Jugend", die dem neuen Stil später seinen Namen gab. Mit farbigen Titelbildern, frechen Texten und Karikaturen, dezenter Erotik sowie modernem Layout schlug sie ein wie eine Bombe.

Titelbild der Zeitschrift „Jugend“ 1897
Richard Riemerschmid (1868 – 1957): Titelbild der Zeitschrift „Jugend“, 1897
Fotoatelier Elvira in München (1944 kriegszerstört)
August Endell (1871 – 1925): Fotoatelier Elvira in München, Von-der-Tann-Straße 15, 1898 (kriegszerstört)

Das Haus ließen sich zwei Frauen, die als Paar zusammenlebten und in der Frauenbewegung aktiv waren, für ihr Fotostudio bauen. Die Wand war ursprünglich meergrün, die Ornamente lilarot und türkisgrün gestrichen! Endell war später wohl selbst erschrocken über das Aufsehen, das der Bau erregt hatte, und beschwichtigte die Kritiker in einem 1906 erschienenen Beitrag für eine Kunstzeitschrift sinngemäß damit, es sei halt sein Erstling gewesen, die Farben seien schon arg grell geraten, und außerdem hätten nachträgliche Änderungswünsche der Eigentümerinnen die Fassade "entstellt"...

Eine der Frauen, Anita Augspurg (1857 - 1943) war übrigens 1893 maßgeblich an der Gründung des ersten deutschen Mädchengymnasiums in Karlsruhe beteiligt gewesen.

Der Visionär Hermann Obrist, ein Schweizer, motivierte als Mentor eine lose Gruppe von ganz unterschiedlichen Künstlertypen: der „verrückte“ August Endell, der eigentlich Philosophie studiert hatte; Bernhard Pankok, der seine Möbel in die krausesten Formen brachte; Bruno Paul, der es auf Dauer lieber klassisch-nüchtern mochte; und Richard Riemerschmid, der ausgewogenste von ihnen.

Villa Fieser in Baden-Baden, Bernhardstraße 33
Richard Riemerschmid (1868 – 1957): Villa Fieser in Baden-Baden, Bernhardstraße 33 (1902-03)

Typisch für Riemerschmid: Die kompakte, eher sachlich-schlichte Bauform und die Anklänge an regionale Baukunst.

Kennzeichnend für die Münchner Jugendstil-Architektur, die wesentlich durch Martin Dülfer geprägt wurde, sind rasterartige Ornamente und Schablonen-Malerei.

Fassade Leopoldstraße 77 in München
Martin Dülfer (1859 – 1942): München, Leopoldstraße 77, 1900-02
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Dresden

Die Stadt an der Elbe war die erste, die den internationalen Jugendstil in Deutschland präsentierte. Auf einer Ausstellung 1897 erregten Inneneinrichtungen des Belgiers Henry van de Velde Aufsehen.

Einige Hauptwerke der Dresdner Jugendstil-Architektur wurden im Krieg zerstört. Ihr Hauptvertreter war Julius Graebner vom Büro Schilling & Graebner. Er stammte aus Durlach und hatte bis zu seinem 22. Lebensjahr in Karlsruhe Architektur studiert.

Villa Rautendelein in Dresden-Blasewitz
Villa Rautendelein in Dresden-Blasewitz
Julius Graebner (1858 – 1917) vom Architekturbüro Schilling & Graebner: Villa Rautendelein in Dresden-Blasewitz für den Schriftsteller Gerhart Hauptmann, 1899-1900 (kriegszerstört)

Pionier für die zunehmend industrielle, nicht mehr handwerkliche Fertigung von formschönen „Maschinenmöbeln“, also eine Art Urahn für IKEA, war die 1898 durch Karl Schmidt gegründete Möbelfabrik Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst (heute: Deutsche Werkstätten Hellerau), um deren neue Produktionsstätten vor den Toren der Stadt sich ab 1908 noch die erste deutsche Gartenstadt – neben der in Karlsruhe-Rüppurr – entwickelte.

Richard Riemerschmid
(1868 – 1957): Schrank, 1906
Schrank von Richard Riemerschmid
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Berlin

Schwanenteppich von Otto Eckmann
Otto Eckmann (1865 – 1902):
“Schwanenteppich”, um 1897

Der „Schwanenteppich“ wurde in einer Handweberei in Scherrebek (seit 1920 dänisch) angefertigt, einem Projekt der sozialen Wirtschaft.

Der Entwurf, der auf japanische Vorbilder zurückgreift, stammt von Otto Eckmann, damals Lehrer an der Kunstgewerbeschule Berlin. Er entwickelte auch die meistgebrauchte Jugendstil-Schrift.

Gustav Kampmann (1859 – 1917): „Nebel“, in der Berliner Kunstzeitschrift PAN, 1896
Die 1895 – 1900 in Berlin herausgegebene Zeitschrift PAN war sicher eine der luxuriösesten, die je in Deutschland erschien. In drei Qualitätsstufen angeboten, lag der „Künstlerausgabe“ Originalgraphik auf kostbarem Papier bei. Der PAN brachte Beiträge aus Bildender Kunst, Dichtung, Theater und Musik und machte einige Jugendstil-Künstler bekannt, z.B. Otto Eckmann, den Glas-Gestalter Karl Köpping oder den Mentor des Münchner Jugendstils, Hermann Obrist.

Auch der Karlsruher Künstlerbund wurde im PAN vorgestellt. Hier eine Lithographie von Gustav Kampmann, der zur Grötzinger Künstlerkolonie zählte und einer der besten deutschen Landschaftsmaler seiner Zeit war.
Zeichnung von Gustav Kampmann (1859 – 1917), „Nebel“, in der Berliner Kunstzeitschrift PAN, 1896

Einer der wichtigsten Vertreter des belgischen Jugendstils, Henry van de Velde siedelte 1900 nach Berlin über, wo er durch seine Ladeneinrichtungen bekannt wurde.

1902 ging er nach Weimar, wo er die Kunstgewerbeschule, die Keimzelle des späteren Bauhauses gründete.

Ladenräume der Continental Havana-Compagnie, Berlin, Mohrenstraße 11/12
Henry van de Velde (1863 – 1957): Ladenräume der Continental Havana-Compagnie, Berlin, Mohrenstraße 11/12, 1899

1917 ging van de Velde in die Schweiz. Er beschloss sein Lebenswerk mit seinen Memoiren sowie als Berater für die zweite Jugendstil-Ausstellung der Welt (nach New York 1949) in Zürich 1952. Herausgeber dieses Buches, Projektleiter dieser Ausstellung und schließlich enger Freund von van de Velde war der gebürtige Karlsruher Hans Curjel (1896 - 1974), der Sohn des Architekten Robert Curjel (1859 - 1925) vom Karlsruher Architekturbüro Curjel & Moser. Hans Curjel war als Kunstgeschichtler, Dirigent und Theaterregisseur tätig, ehe er 1933 in die Schweiz emigrierte und dort u.a. mit Bertolt Brecht zusammenarbeitete.
Fassaden der Hackeschen Höfe in Berlin

Im Stadtbild der deutschen Hauptstadt ist der Jugendstil eher selten.

Progressive Impulse gab der schwedisch-stämmige Architekt Alfred Grenander (1863 - 1931) mit seinen Entwürfen für fast alle der frühen Berliner U-Bahnhöfe, aber auch für elegante Interieurs.  

Und natürlich: die berühmten Keramik-Fassaden der Hackeschen Höfe von August Endell.

August Endell (1871 – 1925):
Fassaden der Hackeschen Höfe in Berlin,
1906
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Karlsruhe

War die damalige badische Hauptstadt für die Entstehung des Jugendstils wirklich so wichtig? Ja. Dafür nur zwei Beispiele aus zeitgenössischen Publikationen:

  • Bereits 1898 hatte ein Korrespondent der englischen Avantgarde-Kunstzeitschrift „The Studio“ die – sicherlich auch subjektive – Einschätzung geäußert: „Among the German art cities Karlsruhe deserves to take the first place.“ ("Unter den deutschen Kunststädten verdient Karlsruhe den ersten Rang.")
  • Und in Darmstadt drängte man im Herbst 1898 auf eine baldige Verwirklichung der Künstlerkolonie Mathildenhöhe gerade auch mit einem besorgten Seitenblick auf die badische Konkurrenz: „Nur noch wenige Monate vielleicht, und in München, Karlsruhe, Dresden oder Berlin wird eine solche Einrichtung ins Leben treten, und dann ist es für Darmstadt zu spät!“
Vase
Max Laeuger (1864 – 1952): Vase, um 1898

Die renommierte Kunstgewerbeschule (heute Kunstakademie an der Moltkestraße) schuf die Grundlagen. Dort sowie an der Technischen Hochschule war u.a. Max Laeuger als Lehrer tätig, der mit seiner Irdenware mit floraler Schlickermalerei die moderne deutsche Keramik begründete.

Zu den progressivsten deutschen Jugendstil-Architekten gehörten die Karlsruher Hermann Billing (u.a. Torgebäude und Villensiedlung der Baischstraße) und Karl Moser (u.a. Villa Junker, Ludwig-Marum-Straße 10). Auch Franz Wolff (Haid-und-Neu-Straße 8) sowie Hermann Bastel (Yorckstraße 49) setzten sehenswerte Akzente (mehr auf Instagram).

Hermann Billing (1867 – 1946):
Karlsruhe, Baischstraße 5,
1902/03
Haus in Karlsruhe, Baischstraße 5

Zur Avantgarde des deutschen Modedesigns zählte Emmy Schoch, die mit gerade 24 Jahren ihr Atelier in der Herrenstraße 12 gründete, das 1911 schon rund 50 Mitarbeiterinnen zählte.

Durch Vorträge sowie eine in Karlsruhe herausgegebene Zeitschrift warb sie für die Vorteile des bequemen, korsettfreien „Reformkleides“.

Kleid von Emmy Schoch
Emmy Schoch (1881 – 1968): Kleid, 1911

Weitere Zentren

Das Ideal des „Gesamtkunstwerkes“ wurde in Deutschland am ehesten verwirklicht durch die 1899 gegründete Künstlerkolonie „Mathildenhöhe“ in Darmstadt. Großherzog Ernst Ludwig von Hessen finanzierte sie als kunstliebender Mäzen, wollte damit aber auch die Kultur- und Kreativwirtschaft in Hessen stärken. Die Ausstellung "Ein Dokument deutscher Kunst" im Sommer 1901 zeigte nicht weniger als eine komplett durchkomponierte Siedlung mit einem großen, gemeinschaftlichen Ateliergebäude sowie acht voll eingerichteten Musterhäusern, einige von ihnen im Besitz beteiligter Künstler.

1904, 1908 und 1914 folgten weitere Ausstellungen, bei denen auch Häuser und Wohnungseinrichtungen für einkommensschwächere Schichten präsentiert wurden.

Atelierhaus der Künstlerkolonie (Ernst-Ludwig-Haus)
Joseph Maria Olbrich (1867 – 1908): Darmstadt, Atelierhaus der Künstlerkolonie (Ernst-Ludwig-Haus), 1901
Haus Behrens in Darmstadt
Peter Behrens (1868 – 1940): Haus Behrens in Darmstadt, Alexandraweg 19, 1901

Als künstlerischer Kopf wurde Joseph Maria Olbrich aus Wien („Sezessionsgebäude“) angeworben. Seine Darmstädter Villen treffen die Mitte zwischen kubischen und verspielten Formen.

Ganz anders  das Haus von Peter Behrens mit seinen gebündelten Kraftlinien aus Klinker. Behrens wurde 1907 Chefdesigner der AEG in Berlin.

Haus Deiters, Darmstadt
Joseph Maria Olbrich (1867 – 1908): Haus Deiters in Darmstadt, Mathildenhöheweg 2, 1901
Strassbourg
Franz Lütke (1860–1929) und Heinrich Backes (1866–1931): Straßburg, Rue du Général-de-Castelnau 22, 1901 - 1903

In Straßburg, das damals mit Elsaß-Lothringen zum Deutschen Reich gehörte, dominierte der opulente französische Art-nouveau-Stil.

Kunstliebende Mäzene und Fabrikanten in kleineren Zentren wie Chemnitz, Weimar oder Hagen ließen sich Villen von Henry van de Velde bauen.

Das Theater in Cottbus von Bernhard Sehring greift Formen des Wiener Jugendstils auf.

Theater in Cottbus
Bernhard Sehring (1855 – 1941): Theater in Cottbus, 1907/08

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mit Friedemann Schäfer

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