Als die neue Bewegung des Jugendstils mit der „Deutschen Kunst-Ausstellung“ in Dresden im Jahr 1899 eine Art erster gesamtdeutscher Leistungsschau abhielt, kristallisierten sich vier „Geburtsstädte“ des deutschen Jugendstils heraus: München, Berlin, Karlsruhe und eben Dresden.
In München erschien ab 1896 die Zeitschrift "Jugend", die dem neuen Stil später seinen Namen gab. Mit farbigen Titelbildern, frechen Texten und Karikaturen, dezenter Erotik sowie modernem Layout schlug sie ein wie eine Bombe.
Der Visionär Hermann Obrist, ein Schweizer, motivierte als Mentor eine lose Gruppe von ganz unterschiedlichen Künstlertypen: der „verrückte“ August Endell, der eigentlich Philosophie studiert hatte; Bernhard Pankok, der seine Möbel in die krausesten Formen brachte; Bruno Paul, der es auf Dauer lieber klassisch-nüchtern mochte; und Richard Riemerschmid, der ausgewogenste von ihnen.
Kennzeichnend für die Münchner Jugendstil-Architektur, die wesentlich durch Martin Dülfer geprägt wurde, sind rasterartige Ornamente und Schablonen-Malerei.
Die Stadt an der Elbe war die erste, die den internationalen Jugendstil in Deutschland präsentierte. Auf einer Ausstellung 1897 erregten Inneneinrichtungen des Belgiers Henry van de Velde Aufsehen.
Einige Hauptwerke der Dresdner Jugendstil-Architektur wurden im Krieg zerstört. Ihr Hauptvertreter war Julius Graebner vom Büro Schilling & Graebner. Er stammte aus Durlach und hatte bis zu seinem 22. Lebensjahr in Karlsruhe Architektur studiert.
Pionier für die zunehmend industrielle, nicht mehr handwerkliche Fertigung von formschönen „Maschinenmöbeln“, also eine Art Urahn für IKEA, war die 1898 durch Karl Schmidt gegründete Möbelfabrik Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst (heute: Deutsche Werkstätten Hellerau), um deren neue Produktionsstätten vor den Toren der Stadt sich ab 1908 noch die erste deutsche Gartenstadt – neben der in Karlsruhe-Rüppurr – entwickelte.
Der „Schwanenteppich“ wurde in einer Handweberei in Scherrebek (seit 1920 dänisch) angefertigt, einem Projekt der sozialen Wirtschaft.
Der Entwurf, der auf japanische Vorbilder zurückgreift, stammt von Otto Eckmann, damals Lehrer an der Kunstgewerbeschule Berlin. Er entwickelte auch die meistgebrauchte Jugendstil-Schrift.
Einer der wichtigsten Vertreter des belgischen Jugendstils, Henry van de Velde siedelte 1900 nach Berlin über, wo er durch seine Ladeneinrichtungen bekannt wurde.
1902 ging er nach Weimar, wo er die Kunstgewerbeschule, die Keimzelle des späteren Bauhauses gründete.
Im Stadtbild der deutschen Hauptstadt ist der Jugendstil eher selten.
Progressive Impulse gab der schwedisch-stämmige Architekt Alfred Grenander (1863 - 1931) mit seinen Entwürfen für fast alle der frühen Berliner U-Bahnhöfe, aber auch für elegante Interieurs.
Und natürlich: die berühmten Keramik-Fassaden der Hackeschen Höfe von August Endell.
War die damalige badische Hauptstadt für die Entstehung des Jugendstils wirklich so wichtig? Ja. Dafür nur zwei Beispiele aus zeitgenössischen Publikationen:
Die renommierte Kunstgewerbeschule (heute Kunstakademie an der Moltkestraße) schuf die Grundlagen. Dort sowie an der Technischen Hochschule war u.a. Max Laeuger als Lehrer tätig, der mit seiner Irdenware mit floraler Schlickermalerei die moderne deutsche Keramik begründete.
Zu den progressivsten deutschen Jugendstil-Architekten gehörten die Karlsruher Hermann Billing (u.a. Torgebäude und Villensiedlung der Baischstraße) und Karl Moser (u.a. Villa Junker, Ludwig-Marum-Straße 10). Auch Franz Wolff (Haid-und-Neu-Straße 8) sowie Hermann Bastel (Yorckstraße 49) setzten sehenswerte Akzente (mehr auf Instagram).
Zur Avantgarde des deutschen Modedesigns zählte Emmy Schoch, die mit gerade 24 Jahren ihr Atelier in der Herrenstraße 12 gründete, das 1911 schon rund 50 Mitarbeiterinnen zählte.
Durch Vorträge sowie eine in Karlsruhe herausgegebene Zeitschrift warb sie für die Vorteile des bequemen, korsettfreien „Reformkleides“.
Das Ideal des „Gesamtkunstwerkes“ wurde in Deutschland am ehesten verwirklicht durch die 1899 gegründete Künstlerkolonie „Mathildenhöhe“ in Darmstadt. Großherzog Ernst Ludwig von Hessen finanzierte sie als kunstliebender Mäzen, wollte damit aber auch die Kultur- und Kreativwirtschaft in Hessen stärken. Die Ausstellung "Ein Dokument deutscher Kunst" im Sommer 1901 zeigte nicht weniger als eine komplett durchkomponierte Siedlung mit einem großen, gemeinschaftlichen Ateliergebäude sowie acht voll eingerichteten Musterhäusern, einige von ihnen im Besitz beteiligter Künstler.
1904, 1908 und 1914 folgten weitere Ausstellungen, bei denen auch Häuser und Wohnungseinrichtungen für einkommensschwächere Schichten präsentiert wurden.
Als künstlerischer Kopf wurde Joseph Maria Olbrich aus Wien („Sezessionsgebäude“) angeworben. Seine Darmstädter Villen treffen die Mitte zwischen kubischen und verspielten Formen.
Ganz anders das Haus von Peter Behrens mit seinen gebündelten Kraftlinien aus Klinker. Behrens wurde 1907 Chefdesigner der AEG in Berlin.
In Straßburg, das damals mit Elsaß-Lothringen zum Deutschen Reich gehörte, dominierte der opulente französische Art-nouveau-Stil.
Kunstliebende Mäzene und Fabrikanten in kleineren Zentren wie Chemnitz, Weimar oder Hagen ließen sich Villen von Henry van de Velde bauen.
Das Theater in Cottbus von Bernhard Sehring greift Formen des Wiener Jugendstils auf.