Was ist Jugendstil?

Der Jugendstil war eine kurze, aber intensive Phase der Kunstgeschichte um 1900 – in Europa zwischen etwa 1890 und 1910, in Deutschland ziemlich genau von 1897 bis 1907. Mit dem Jugendstil begann die Moderne in Architektur und Design.

Der Ausdruck „Jugendstil“ hat einen guten Klang. Der Jugendstil gilt als hip, nostalgisch, kreativ und bunt.

Er hat nur einen Nachteil: Es gibt ihn nicht!

Nun ja, zumindest nicht im Sinne eines klar definierten „Stils“ mit einem abgrenzbaren Formenschatz wie z. B. die Gotik oder der Barock.

Jugendstil - das kann kühler, geradliniger Minimalismus sein wie z.B. der „Sezessionsstil“ in Wien.

Eingangshalle des Sanatoriums Purkersdorf bei Wien, Josef Hoffmann
Josef Hoffmann (1870 - 1956): Eingangshalle des Sanatoriums Purkersdorf bei Wien, 1904/05

Jugendstil - das können aber auch kurvige, florale Linien sein, wie etwa in der französischen „Art Nouveau“ in Paris oder in der Karlsruher Partnerstadt Nancy.

Speisezimmer im Musée de l’Ecole de Nancy in Nancy von Eugène Vallin und Victor Prouvé
Eugène Vallin (1856 – 1922) und Victor Prouvé (1858-1943): Speisezimmer im Musée de l’Ecole de Nancy in Nancy, 1903-1906

Der Jugendstil zeigt in jedem Land, in jeder Stadt, bei jedem Künstler ein anderes Bild. Im Westen und Süden Europas liebte man es eher geschwungen und verspielt; im Osten und Norden Europas oft auch geradlinig und streng.

So liegen gestalterische Welten zwischen den Schöpfungen von Antoni Gaudí in Barcelona, Victor Horta in Brüssel oder Charles Rennie Mackintosh in Glasgow:

Haus Tassel in Brüssel von Victor Horta
Victor Horta (1861 - 1947): Haus Tassel in Brüssel, 1893
Mackintosh
Hill House in Helensburg, Schottland, Charles Rennie Mackintosh
Charles Rennie Mackintosh (1868 – 1928): Hill House in Helensburgh/Schottland, 1902-04
Casa Batlló in Barcelona von Antoni Gaudí
Antoni Gaudí (1852 – 1926): Casa Batlló in Barcelona, 1904-06

Was ist aber das Gemeinsame an diesen völlig unterschiedlichen Ausprägungen des Jugendstils?

Die Devise:

Mach es selbst.
Mach es neu.
Mach es schön.

Das heißt im Einzelnen:

1.

Der ganz moderne Impuls: „Sei dein eigener Künstler, deine eigene Künstlerin!“

2.

Jugendstil heißt: Nachmachen ist keine Option. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten Architektur und Kunsthandwerk nichts Neues, sondern nur noch Stilkopien hervorgebracht („Historismus“). Mit solchen Retro-Stilen wie Neo-Renaissance, Neo-Barock oder Neo-Gotik wollte der Jugendstil Schluss machen und etwas völlig Neues, Eigenes bringen. (Wer übrigens wissen möchte, wie die entsprechenden historischen Stile genau aussehen, braucht nur einen 10-, 20-, 50- oder 100-Euro-Schein zu studieren!)

Gründerzeitfassade in Karlsruhe, Belfortstraße
Genau diese Altbauten der in Deutschland so genannten „Gründerzeit“ werden von Immobilienmaklern gerne als „Jugendstil“ verkauft – was sie eben nicht sind. Gründerzeitfassaden in Karlsruhe, Belfortstraße

3.

Jugendstil meint: Kunst und gutes Design gehören nicht nur ins Museum. Die Kunst gehört ins Leben, die Schönheit in den Alltag! Das Ideal: ein völlig durchgestyltes „Gesamtkunstwerk“ – vom Sofakissen bis zum Städtebau, wie es später einmal formuliert wurde. Die Malerei spielt im Jugendstil daher keine größere Rolle – mit zwei berühmten Ausnahmen: Gustav Klimt und Edvard Munch.

Gemälde von Edvard Munch, Straße in Aasgaardstrand, 1901
Edvard Munch (1863 – 1944): Straße in Aasgaardstrand, 1901

Dieses Gemälde hing 1928 bis 1934 in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Es wurde durch den Kunsthallen-Direktor Hans Adolf Bühler, den die Nationalsozialisten 1933 eingesetzt hatten, verkauft und gelangte 1979 ins Kunstmuseum Basel.

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mit Friedemann Schäfer

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